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Christian Daniel Nussbaum

CHRISTIAN DANIEL NUSSBAUM wurde am 9. Juli 1888 in Straßburg geboren. Er hatte nach eigenen Angaben nicht die jüdische Religion. 1927 kam er nach Freiburg und wohnte in der Wiehre in der Sternwaldstraße 1. Die längste Zeit in Freiburg wohnte er aber vom 8.September 1927 bis zum 20.Juni 1932 in der Landsknechtstraße 9, wo auch für ihn ein Stolperstein verlegt wurde. Bei der Verlegung sagte eine Hausbewohnerin: »Der hat hier nie gewohnt, der hat doch nur in der Barbarastraße gelebt.«

Von Beruf war CHRISTIAN DANIEL NUSSBAUM Direktor und Landtagsabgeordneter der SPD. Er war verheiratet mit Emma Nussbaum, geborene Eberle, die am 10.Mai 1894 zur Welt kam. Sie hatte die jüdische Religion.

Prof. Benno Müller-Hill hat über CHRISTIAN DANIEL NUSSBAUM intensiv geforscht. Die folgenden Schilderungen und Zitate sind seinem Büchlein: „Im Schatten der Vernunft. Der vergessene Christian Daniel Nussbaum“ (Quelle 66) entnommen.

Einen Tag vor seiner – von der Freiburger GESTAPO – beabsichtigten Verhaftung, am 16.März 1933, erschien im Hetzblatt der Nazis in Freiburg, dem Alemannen, ein Artikel über CHRISTIAN DANIEL NUSSBAUM, in dem er als Betrüger dargestellt wurde. Titel: „Ein feiner Volksvertreter“.

Am 17.März 1933 wollte die Polizei ihn morgens um 4 Uhr in der Barbarastraße 1 verhaften. Dabei schoss er zwei der Beamten nieder, die ihn festnehmen sollten. Ihre Namen waren Weber und Schelshorn, die Nationalsozialisten benannten – nach deren Tod – die Barbarastraße in Schelshorn-Weber-Straße um. Die Freiburger Tagespost berichtete noch am selben Tag, dem 17.März, kurz über die „Bluttat“ und Festnahme NUSSBAUMs um 4.15 Uhr. Auch dass er ein Jahr zuvor einen Hirnschlag erlitten hätte und in einer psychiatrischen Klinik gewesen sei, dass er nicht, wie vielfach angenommen, Jude sei und bei ihm eine Hausdurchsuchung nach verbotenem Material vorgenommen worden sei, stand in dem Artikel zu lesen. Dies begründete die Vorverurteilung: Nussbaum sei psychisch krank, Gewohnheitstrinker, er verkehre in kommunistischen Kreisen, randaliere, wenn er Alkohol getrunken habe usw. Außerdem wurde der Tat-Morgen in einigen Details beschrieben:

„Nussbaum hat schon vor zehn Tagen gesagt, er habe einen Revolver und zehn Schuss, er lasse sich nicht festnehmen. (…) Ein Hausbewohner hat aber für die Polizei die Haustür geöffnet. Dann hat ein Schlosser die Wohnungstür geöffnet. Alle Zimmer bis auf das Schlafzimmer waren leer (es war ca. 4 Uhr morgens). Dort stak der Schlüssel innen, so dass der Schlosser nicht helfen konnte. Gemeinsam haben dann die drei Polizisten die Schlafzimmertür eingedrückt. Da habe Nussbaum geschossen. Noch einmal durchgeladen und wieder geschossen. Ein Polizist, Schelshorn, sei tot, ein zweiter, Weber, schwer verletzt. [Auch er starb später,(M.M.) schließlich habe sich Nussbaum ergeben. Er habe gerufen, ob es die blaue Polizei sei. Sie hat Einbrecher geschrien. Sie gibt vor, sie habe gedacht es seien Diebe. Er sei dann mit erhobenen Händen herausgekommen. Der auch in der Wohnung (d.h. in einer zur Wohnung gehörenden Mansarde, Müller-Hill) sich aufhaltende Schwiegervater Eberle und Nussbaums Frau seien wegen Beihilfe zum Mord in Schutzhaft genommen.“

Kurze Zeit später ist der bis dahin angesehene Landtagsabgeordnete der SPD in der öffentlichen Meinung bereits zu einem marxistischen Verbrecher geworden, der Meineide geschworen und Unterschlagungen begangen haben soll, und seine Tat ist „der Ungeist des organisierten marxistischen Untermenschentums“. 40.000 bis 50.000 Menschen sollen beim Staatsbegräbnis für die beiden toten Polizisten gewesen sein, so Prof. Müller-Hill (Quelle 66, S. 8). CHRISTIAN DANIEL NUSSBAUM erhielt den sogenannten Paragraph 51 des Reichsstrafgesetzbuches, d.h. er konnte nicht für die Tat zur Verantwortung gezogen werden. Aber es gab auch keinen richtigen Prozess. Er blieb in der Anstalt Wiesloch, wohin er gebracht worden war. Eine Massenkundgebung auf dem Münsterplatz nutzte der damalige Oberbürgermeister Dr. Kerber zur Stimmungsmache gegen den Bolschewismus und für Hitler. Die öffentliche Meinung forderte scheinbar Vergeltung für die Polizistenmorde, sogar ein Prälat rief dazu auf. Selbst die Parteifreunde standen „vor einem völligen Rätsel“ (ebd., S. 10). Der Alemanne vom 31. März 1933 „enthält einen Boykottaufruf gegen Freiburger Juden, 12 Rechtsanwälte, 17 Ärzte und viele Firmen sind mit Namen und Adresse genannt.“ (ebd.) Die Akten zum NUSSBAUM-Prozess waren in Freiburger Archiven verschwunden. Prof. Benno Müller-Hill versuchte mit viel Spürsinn, die Krankenakten von CHRISTIAN DANIEL NUSSBAUM aufzufinden. Er sprach mit Menschen, die ihn gekannt haben. Die am häufigsten geäußerte Meinung über ihn: Er war normal, sehr intelligent, eine überragende Persönlichkeit, ein kulturell interessierter Mensch.

CHRISTIAN DANIEL NUSSBAUM wurde nach seiner Verhaftung vom Untersuchungsgefängnis in die Vollzugsanstalt Freiburg gebracht und schließlich am 20.März 1933 in die Anstalt Wiesloch. Er wurde dort aufgefordert, sein Leben zu erzählen (ebd., S. 28ff.) und berichtete:

„Kleinkinderschule, 6 Jahre lang, immer der Beste in der Klasse gewesen, Stipendium für den Besuch der Mittelschule, 3 Jahre bis zur Schlussprüfung, Straßburger Kunstgewerbeschule, Abschlussprüfung in Modellieren und Holzbildhauerei, Museumsbesuche, gut verdient. 1911 Eintritt in die sozialistische Bewegung, zwei ‚Onkel‘ haben bei der Badischen Revolution 1849 mitgemacht. Er studierte Recht, Kunstgeschichte, Renaissance, Stipendium für Studium in Italien, jedes Jahr einen Preis bekommen, studierte in Berlin philosophische Entwicklung von Kant, Hegel, Feuerbach. Soldat im Ersten Weltkrieg, Somme-Schlacht mitgemacht, verschüttet worden. Rumänien-Feldzug, mit Syphilis infiziert, Referent im Reichsministerium Berlin nach dem Krieg, seit 1929 im Landtag, dann Schwächeanfall wegen zu viel Arbeit. Klinik, Verbot der Arbeit als Landtagsabgeordneter durch seinen Arzt. In der Krankenanstalt Wiesloch erklärte er die Tat als Notwehrhandlung und verstand nicht, warum die Polizei n a c h t s in seine Wohnung einbrach. Er sagte: „Man hätte am Tag zu mir kommen können, man hätte mir das in aller Ruhe sagen können – ich habe doch nichts getan! Ich habe mir noch gesagt, die Nationalsozialisten können doch nichts gegen mich tun, wenn ich dem Wagner doch noch geholfen habe, dass er nicht verhaftet wurde (…) Ich habe nur gewusst, dass ich mich gewehrt habe. Das Polizeiauto hat gehupt vor dem Haus, ich sagte: ‚Gott sei Dank, jetzt kommt die Polizei‘.“ (ebd., S. 37).

Wegen verschiedener Drohbriefe hatte sich CHRISTIAN DANIEL NUSSBAUM dann einen Waffenschein ausstellen lassen. Er war fest davon überzeugt, dass die Menschen, die nachts um 4 Uhr in seine Wohnung eindrangen, politisch motivierte Kriminelle waren. Seine Persönlichkeit wurde dann psychiatrisch bewertet, alles was er gesagt hatte, wurde gegen ihn verwendet. Er schrieb an seine Frau, an Rechtsanwälte und hoffte auf Hilfe – vergebens. Das 60seitige Gutachten stellte die Diagnose ‚Progressive Paralyse‘ und „bezeichnete den fünfundvierzigjährigen NUSSBAUM als unzurechnungsfähig bei seiner Tat.“ (ebd., S. 47) Die Gutachter qualifizierten ihn in einer unmenschlichen Sprache: „eingefleischter Sozialist, Umtriebigkeit und Redseligkeit, Ideenflucht, Denkschwäche, Urteilsschwäche, Größenwahn, überfreundlich, großspurig, kritiklos usw.“. Dem Gutachten nach soll er gesagt haben: „Papen ist ein Schweinehund, ein Idiot (…) Hitler ist ein Idiot (…). Es lebe die deutsche sozialdemokratische Republik.“

Die Ärzte der Anstalt Wiesloch taten alles, um CHRISTIAN DANIEL NUSSBAUMs Tat als die eines hirnkranken Menschen darzustellen. Mit keinem Wort wurde zu seiner Verteidigung erwähnt, dass er ja tatsächlich bedroht worden war. Denn ein nächtlicher Einbruch in die Wohnung stellte – gerade in dieser politisch bedrohlichen Situation – einen so entscheidenden Eingriff in seine Persönlichkeitsrechte und die seiner Frau dar, dass die Notwehrhandlung durchaus verständlich war. NUSSBAUM: „Ich habe im Augenblick nicht anders handeln können, ich habe so handeln müssen – ich habe mich wehren müssen.“ (ebd., S. 51f.) Die Tat von CHRISTIAN DANIEL NUSSBAUM wurde von den Machthabern als politische Aktion gewertet und das ‚Volksempfinden‘ angeführt, das nun entsprechende Sühne erwarte. Anfälle, die Christian Daniel Nussbaum – bedingt wohl auch durch seine zu spät behandelte Syphilis – zu schaffen machten, nahmen zu. Er litt an Kopf- und Rückenschmerzen und fürchtete, in Wiesloch bleiben zu müssen.

Durch neuere Recherchen in Wiesloch hat eine Studentin von Prof. Müller-Hill herausgefunden, dass CHRISTIAN DANIEL NUSSBAUM am 25.Juni 1939 in der Anstalt Wiesloch durch Medikamente, nicht einmal 51 Jahre alt, ermordet wurde.

Christian Daniel Nussbaum was born in Strasbourg on 9th July in 1888. According to his own statements, he did not have the Jewish religion. He came to Freiburg in 1927 and lived in the Wiehre at Sternwaldstraße 1. However, he lived the longest in Freiburg from 8th September in 1927 to 20th June in 1932 at Landsknechtstraße 9, where a Stolperstein was also laid for him. During the laying of the stone, a resident said: „He never lived here, he only lived in Barbarastraße.

Christian Daniel Nussbaum was a director and member of the state parliament for the Social Democratic Party (SPD). He was married to Emma Nussbaum, née Eberle, who was born on 10th May in 1894. She had the Jewish religion.

Prof. Benno Müller-Hill has done intensive research on Christian Daniel Nussbaum. The following descriptions and quotations are taken from his booklet: „Im Schatten der Vernunft. Der vergessene Christian Daniel Nussbaum“ (Source 66).

One day before his arrest – intended by the Freiburg Gestapo – on 16th March in 1933, an article about Christian Daniel Nussbaum was published in the Nazi newspaper in Freiburg, the Alemannen, in which he was portrayed as an impostor. Title: „A fine representative of the people“.

On 17th March in 1933, the police wanted to arrest him at 4 o’clock in the morning at Barbarastraße 1. In the process, he shot two of the officers who were to arrest him. Their names were Weber and Schelshorn, the National Socialists renamed – after their death – Barbarastraße into Schelshorn-Weber-Straße. The Freiburger Tagespost reported briefly on the same day, 17th March, about Nussbaum’s „bloody deed“ and arrest at 4.15 a.m.. The article also stated that he had suffered a stroke a year earlier and had been in a psychiatric clinic, that he was not a Jew, as was often assumed, and that his house had been searched for forbidden material. This justified the preliminary condemnation: Nussbaum was mentally ill, a habitual drinker, he moved in communist circles, rioted when he drank alcohol, etc. In addition, the morning of the crime was described in some detail:

„Nussbaum had already said ten days ago that he had a revolver and ten shots, that he would not let himself be arrested. (…) But a resident of the house opened the front door for the police. Then a locksmith opened the flat door. All the rooms except the bedroom were empty (it was about 4 o’clock in the morning). There the key was stuck inside, so the locksmith could not help. Together the three policemen then forced the bedroom door. That’s when Nussbaum fired. He reloaded and shot again. One policeman, Schelshorn, was dead, another, Weber, was seriously injured. [He also died later, M.) finally Nussbaum surrendered. He had shouted if it was the blue police. She shouted burglar. She pretends she thought they were thieves. He then came out with his hands up. The father-in-law Eberle, who was also in the flat (i.e. in an attic belonging to the flat, Müller-Hill), and Nussbaum’s wife were taken into protective custody for accessory to murder.“

A short time later, the until then respected SPD member of the state parliament has already become in public opinion a Marxist criminal who is said to have perjured himself and committed embezzlement, and his act is „the un-spirit of organised Marxist sub-humanity“. 40,000 to 50,000 people are said to have been at the state funeral for the two dead policemen, according to Prof. Müller-Hill (Source 66, p. 8). Christian Daniel Nussbaum received the so-called Paragraph 51 of the Reich Penal Code, i.e. he could not be held responsible for the crime. But there was no real trial either. He remained in the Wiesloch asylum where he had been taken. The mayor of the time, Dr Kerber, used a mass rally on Münsterplatz to stir up public opinion against Bolshevism and in favour of Hitler. Public opinion apparently demanded retribution for the police killings, even a prelate called for it. Even fellow party members were „faced with a complete conundrum“ (ibid., p. 10). The Alemanne of 31th March in 1933 „contains a call for a boycott against Freiburg Jews, 12 lawyers, 17 doctors and many firms are mentioned with their names and addresses.“ (ibid.) The files on the NUSSBAUM trial had disappeared in Freiburg archives. Prof. Benno Müller-Hill tried to find the medical records of Christian Daniel Nussbaum with a great deal of sleuthing. He spoke to people who had known him. The most frequently expressed opinion about him: He was normal, very intelligent, an outstanding personality, a culturally interested person.

Christian Daniel Nussbaum was taken from the remand prison to the Freiburg prison after his arrest and finally to the Wiesloch prison on 20th March in 1933. There he was asked to recount his life (ibid., pp. 28ff.) and reported:

„Infant school, for 6 years, always been the best in class, scholarship to attend secondary school, 3 years to final examination, Strasbourg School of Arts and Crafts, final examination in modelling and wood sculpture, visits to museums, earned well. 1911 joins the socialist movement, two ‚uncles‘ took part in the Baden Revolution of 1849. Studied law, history of art, Renaissance, scholarship to study in Italy, got a prize every year, studied philosophical development of Kant, Hegel, Feuerbach in Berlin. Soldier in the First World War, participated in the Battle of the Somme, was buried. Romania campaign, infected with syphilis, advisor in the Reich Ministry in Berlin after the war, in the Landtag since 1929, then attack of weakness due to too much work. Hospital, banned from working as a member of the Landtag by his doctor. In the Wiesloch hospital he explained the act as an act of self-defence and did not understand why the police did not break into his flat. He said: „They could have come to me during the day, they could have told me calmly – I didn’t do anything! I still said to myself, the National Socialists can’t do anything against me, if I helped Wagner after all, that he wasn’t arrested (…) I only knew that I had resisted. The police car honked in front of the house, I said: ‚Thank God, now the police are coming‘.“ (ibid., p. 37).

Because of various threatening letters, Christian Daniel Nussbaum had then had a gun licence issued. He was firmly convinced that the people who broke into his flat at 4 a.m. were politically motivated criminals. His personality was then psychiatrically assessed, everything he had said was used against him. He wrote to his wife, to lawyers, hoping for help – in vain. The 60-page report diagnosed him with ‚Progressive Paralysis‘ and „described the forty-five year old NUSSBAUM as being of unsound mind when he committed his crime.“ (ibid., p. 47) The experts qualified him in inhuman language: „inveterate socialist, restlessness and loquacity, flight of ideas, weakness of thought, weakness of judgement, megalomania, over-friendly, pompous, uncritical, etc.“. According to the expert report, he is said to have said: „Papen is a swine, an idiot (…) Hitler is an idiot (…). Long live the German Social Democratic Republic.“

The doctors of the Wiesloch asylum did everything to present Christian Daniel Nussbaum’s act as that of a brain-damaged person. Not a word was said in his defence that he had actually been threatened. Because breaking into his flat at night – especially in this politically threatening situation – represented such a decisive encroachment on his personal rights and those of his wife that the act of self-defence was perfectly understandable. NUSSBAUM: „I could not have acted otherwise at the moment, I had to act this way – I had to defend myself.“ (ibid., p. 51f.) Christian Daniel Nussbaum’s act was seen by those in power as a political action, citing ‚popular sentiment‘ which now expected appropriate atonement. Seizures, which Christian Daniel Nussbaum suffered from – probably also due to his syphilis, which was treated too late – increased. He suffered from headaches and back pain and feared he would have to stay in Wiesloch.

Through recent research in Wiesloch, a student of Prof. Müller-Hill found out that Christian Daniel Nussbaum was murdered by medication in the Wiesloch asylum on 25th June in 1939, not even 51 years old.

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