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Dr. Eugen Rothschild

DR. EUGEN ROTHSCHILD (A) wurde am 3. Mai 1875 in Freiburg als Sohn des Weinkaufmanns Jakob (Jacques) Rothschild und seiner Ehefrau Julia Seligmann geboren. Er hat außer dem älteren Bruder Alfred Rothschild weitere Geschwister. Diese beiden Söhne studieren und schließen mit Examen und Doktordiplom ab, Alfred in Medizin, EUGEN ROTHSCHILD in Jura.

EUGEN ROTHSCHILD ist verheiratet mit Johanna Rosenblatt. Sie wurde am 29. Mai 1881 in Würzburg geboren. Der Ehe entstammen keine Kinder. Noch unklar ist, ob das Ehepaar vor dem Erwerb des eigenen Hauses 1921 in der Freiburger Hebelstr. 29 schon getrennt oder noch gemeinsam gelebt hat; ob Johanna Rothschild schon im Jahre 1913 verstorben ist (wie wiederholt auf der Steuererklärung ihres Mannes angegeben wird), oder ob ihr Mann das reparaturanfällige Haus erst nach ihrem Tod erworben hat.

Beruflich wird EUGEN ROTHSCHILD im Jahre 1902 als Rechtsanwalt beim Landgericht Freiburg zugelassen und kann im gleichen Jahr in bester Lage der Kaiserstr. 118 (154 ?) die Eröffnung einer eigenen Kanzlei ankündigen. Indessen wird er in den folgenden Jahren nicht dem Kreis der gutverdienenden Rechtsanwälte der Stadt zugehören – vielleicht weil er vor allem zivilprozessuale Verfahren verfolgt und in Strafrechtsverfahren weniger bekannt ist (als sein Kollege EMIL HOMBURGER 328). Diese Situation wird durch seine Steuererklärungen ab 1921 belegt, besonders an der schon zur jährlichen Gewohnheit gewordenen Bitte um Steuerstundung und -nachlass an die Behörde wegen seiner geringen Einnahmen. In dieselbe Richtung weisen auch die schlichten Beträge hin, die er als Werbungskosten steuerlich für seine Kanzlei geltend macht.

Mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933 in Deutschland nimmt seine berufliche Situation schnell eine neue, bedrohliche Dimension an. Bereits im „Alemannen“ vom 31.3.1933 wird sein Name mit vielen anderen Rechtsanwälten, Ärzten und Firmen als zu boykottierende „jüdische Betriebe in Freiburg“ genannt. Die jährlichen Einnahmen übersteigen bald nicht mehr die 1.500 RM (Reichs Mark) und enden völlig im Jahr 1937. Er „war bis zum 30.9.1938 Rechtsanwalt“, schreibt EUGEN ROTHSCHILD auf seiner Steuererklärung von 1938 und weist auf die endgültige Eliminierung der jüdischen Anwälte aus der deutschen Justiz hin. Für EUGEN ROTHSCHILD bedeutet es Folgendes:

  • 1938 beantragt er beim OLG-Präsidenten in Karlsruhe die Zulassung als jüdischer „Konsulent“ in Freiburg.
  • Die Antwort vom 15.11.1938 lautet: „RA Dr. Rothschild ist trotz seines Alters von 63 Jahren und seiner 30jährigen Tätigkeit für die Gerichte nur wenig bekannt, so gering ist seine Praxis. Er macht einen kränklichen Eindruck, ist in seinem Auftreten zurückhaltend und bescheiden. Seinen juristischen Kenntnissen und Fähigkeiten dürfte keine besondere Bedeutung beizumessen sein. Dass er die heutigen Rechtsgebiete in ihren besonderen Verhältnissen beherrscht, erscheint mir zweifelhaft. Nach seinem äußeren Auftreten lebt Dr. R. anscheinend in bescheidenen Verhältnissen. Ich halte Dr. R. nicht für geeignet, ihn zum jüdischen Konsulenten zuzulassen“. All dies sind nur negative Auskünfte.
  • Daraufhin erfolgt am 30.11.1938 die endgültige Löschung seiner Zulassung als Rechtsanwalt aufgrund des § 1 der 5. Verordnung zum „Reichsbürgergesetz“.

Seit 1939 ist er dann – laut Steuererklärung – „Privatier“ von Beruf. Über Wasser hält sich EUGEN ROTHSCHILD – neben einem kleinen Fürsorgezuschuss seitens der Israelitischen Gemeinde Freiburgs – nur als Eigentümer von Hebelstr. 29, dessen Mieteinkünfte von ca. 2.000 RM er sich mit seinem Bruder Alfred teilt. Doch dieses Geld fließt auf ein gesperrtes Konto seiner Hausbank und erlaubt ihm nur die absolut notwendigen Ausgaben für die Lebenshaltung und – in bescheidenem Rahmen – für Renovierungsarbeiten des in die Jahre gekommenen Hauses. Wie alle anderen Juden muss er dem Städtischen Leihamt im März 1939 seine Gold- und Silbersachen zu lächerlichen Preisen abliefern. Und die JVA (Judenvermögensabgabe) von 3.000 Reichs Mark kommt hinzu.

Schließlich der nicht zu vermeidende Verkauf vom Haus Hebelstr. 29. Im Kaufvertrag vom 16.09.1940 erwirbt der Freiburger Schlossermeister und Ofenfabrikant J. Bettinger das Anwesen zu dem ermäßigten Kaufpreis von 27.000 Reichs Mark (statt 30.000 RM), um die behördliche Genehmigung zu erhalten. EUGEN ROTHSCHILD wird zwar für den jährlichen Mietzins von 960 RM ein Wohnrecht bis zu seinem Tod zugesichert; sein Verkaufserlös von über 13.000 RM muss aber an die „Polizeidirektion Freiburg Abteilung für jüdisches Vermögen“ einbezahlt werden. Dabei hatte er noch im September 1940 bei der Basler Versicherungsgesellschaft einen Ratenversicherungsvertrag abgeschlossen, der ihm bis zum Lebensende 120 Mark monatlich bei einer Einzahlungssumme von 13.000 RM eingebracht hätte. Jetzt aber ist der Streit, wo das Geld endgültig verbleibt, vorprogrammiert – und es sieht schlecht für ihn aus.

Am 22.10.1940 wird EUGEN ROTHSCHILD mit vielen anderen Freiburger jüdischen Einwohnerinnen und Einwohnern verhaftet und in das südfranzösische KZ-Lager Gurs deportiert und in Ilot 916 untergebracht. Aber er wehrt sich: Schreiben an die Stadtsparkasse Freiburg vom Ende des Jahres unter der Vermittlung eines in Basel lebenden Moritz Rothschild, der seine Briefe nach Deutschland weiterleitet: „Ich bin hier mittellos interniert. Auf dem Transport hierher wurde mir im Zug an der Zollkontrolle in Mühlhausen von den Wachen das Sparkassenbuch abgenommen. Ich ersuche Sie höflich, mir aus meinem Sparkassenbeschränkt verfügbaren Sicherungskonto einen monatlichen Betrag von je 10 Mark über eine Bank in Pau bei Toulouse, Basses Pyrénées, zu überweisen, nötigenfalls für mich hierzu die Genehmigung der Devisenstelle Karlsruhe erwirken zu wollen. Ergebenst Dr. Rothschild“.

Doch die Initiative führt zu keinem Ergebnis. Ebenso erfolglos ist der Versuch, das vom Hausverkauf an die Polizeidirektion Freiburg geleitete Geld an die für die Basler Versicherung gedachte Rentenversicherung weiterzuleiten. Die Begründung des „Generalbevollmächtigten für das jüdische Vermögen in Baden“ lautet, dass die „Transferierung einer Rente ins Ausland an ausgewiesene Juden nicht in Betracht kommt …“ Was Juristen damals in existentiellen Dingen alles zu entscheiden hatten und dafür später Pensionen bekamen!

EUGEN ROTHSCHILD wird Mitte des Jahres 1941 vom Lager Gurs in das Nebenlager Noé verlegt. Auch dort sind die Lebensbedingungen so furchtbar, dass er schon am 31. Januar 1942 im Alter von 66 Jahren verstirbt.

Ergänzungen: Beim Angriff auf Freiburg am 27. November 1944 ist das Anwesen Hebelstr. 29 komplett zerstört worden. Die Eheleute Bettinger kamen dabei ums Leben. Einzige Erbin war die Tochter Martha Kummer. Wie üblich kam es für das Anwesen laut Gesetz 52 der Militärregierung zum Sperrvermerk im Grundbuch; später dann im Jahre 1954 erfolgte ein „gütlicher“ Vergleich zwischen Frau Kummer und den Nachkommen der ehemaligen Eigentümer ROTHSCHILD.

Eugens Bruder, Dr. Alfred Rothschild, wurde am 3.10.1942 von Berlin aus in das Konzentrationslager Theresienstadt deportiert und verstarb dort am 03.12.1942 an den unmenschlichen Bedingungen in diesem brutalen KZ.

 

Quellen: StAF, F 166/3-2272; F 196/2-366, 367; F 133/3-526 u.ö.
Recherche und Text: P.K. Projekt STOLPERSTEINE in FREIBURG

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