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Dr. Richard Kuenzer

Warum tut sich eine Stadt wie Freiburg so schwer, einen der größten und mutigsten Widerstandskämpfer im Südwesten Deutschlands zu ehren und zu würdigen? Das war die größte Frage, die im Vorfeld der Stolpersteinverlegung nicht zu klären war. Der Vorschlag von unserer Seite, eine Veranstaltung (Vortrag, Empfang) seitens der Stadt zu planen an jenem Tag, an dem sich die Erschießung DR.KUENZERs zum 60sten Mal jährte, wurde zunächst abschlägig beschieden. Die Ehrung sollte sich nur auf eine schlichte Verlegung eines Stolpersteins vor seinem Elternhaus beschränken: allenfalls könnten Vertreter der Stadt ein paar Worte sprechen. Es sei nicht daran gedacht, eine von der Stadt organisierte Veranstaltung – etwa einen Empfang mit Beteiligung eines Bürgermeisters oder Stadtrats und gar mit Referat – auszurichten, so wurde uns mitgeteilt.

DR.RICHARD KUENZER wurde am 6. September 1875 in Freiburg geboren. Es ist vor allem Uwe Schellinger zu verdanken, dass mittlerweile einiges über sein Leben bekannt ist. RICHARD KUENZER machte sein Abitur 1893 und ging als Ein¬jährig-Freiwilliger ins Erste Badische Feldartillerieregiment  „Prinzregent Luitpold“. Seine Eltern waren der Fabrikant Heinrich Kuenzer und Ida Kuenzer, geborene von Beust. Seine Mutter engagierte sich stark karitativ, und ihr Name war in Freiburg sehr bekannt. RICHARD KUENZER studierte Jura in Fribourg (Schweiz), München, Kiel und Freiburg. Sein Studium schloss er 1898 auch hier ab. Er war dann Rechtsassessor in Baden, das zweite Examen macht er 1902. Danach ging er in den Diplomatischen Dienst, promovierte und machte eine kaufmännische Zusatzausbildung. Durch den Ausbruch des Ersten Weltkrieges wurde seine diplomatische Laufbahn erst einmal unterbrochen. Es folgten Armeedienst, wieder diplomatische Aufgaben, jedoch auch Verhaftung durch die Briten, drei Jahre Camp als Internierter auf Malta, Isolation und schwere Zwangsarbeit. Erst 1919 kehrte er aus der Gefangenschaft zurück. Das Auswärtige Amt bot ihm danach keine angemessene Stellung mehr an. Am 9. September 1923 ging er in den vorläufigen Ruhestand. Am 28. Januar 1925 heiratete er die 20 Jahre jüngere Gräfin Gerda zu Inn- und Knyphausen. Er leitete die Zeitschrift Germania. DR.RICHARD KUENZER fühlte sich dem linken Flügel des Zentrums verbunden. Sowohl er als auch DR.JOSEPH WIRTH – ebenfalls ein in Freiburg lange Jahre kaum gewürdigter Widerständler gegen den Nationalsozialismus – waren beide gegen jede Art von nationalistischem Denken. Sie unterstützten damals schon die Vision der Vereinigten Staaten von Europa.

Nach der für die Nationalsozialisten siegreichen Wahl 1933 wurde DR.RICHARD KUENZER in den endgültigen Ruhestand versetzt. Er soll – so Uwe Schellinger – wörtlich gesagt haben: „Das ist doch der reinste Götzendienst, überall wo man hinkommt, hängen Bilder des Führers und dann das Heil Hitler … Mir hängt das zum Hals raus, ich kann das nicht mehr hören und sehen, am liebsten risse ich die Bilder von den Wänden.“ Seit Mitte der 1930er Jahre stand DR.RICHARD KUENZER in Kontakt zu Widerstandskreisen, unter anderem zu dem in die Schweiz geflohenen DR.JOSEPH WIRTH und ab 1941 zu dem Widerstandskreis um Carl-Friedrich Goerdeler und dem sogenannten Solf-Kreis. Bei der von diesem geleisteten tatkräftigen Hilfe für ausreisende Juden spielte RICHARD KUENZER eine zentrale Rolle.

Schließlich wurde er verraten – ob durch aufgefundene Notizen oder durch Folter erpresste Informationen von anderen, ist nicht klar. Seine Verhaftung erfolgte am 5. Juli 1943. Er wurde in das „Hausgefängnis“ der Gestapo in Berlin gebracht, danach in den sogenannten „Zellenbau“  des KZ Ravensbrück. Dort und in der nahegelegenen Sicherheitspolizeischule Drögen wurde er von nun an unter Folter verhört. Isa Vermehren, eine Mitgefangene, berichtet: »Zu den nicht zu vergessenden Gestalten gehörte der alte Herr Kuenzer, der eines Morgens eingerollt in eine Decke vom Verhör zurückgebracht wurde. Man hatte ihn so furchtbar geprügelt, dass er über 14 Tage bei offener Zelle unter ständiger Pflege mehr tot als lebendig im Bett lag.« RICHARD KUENZER blieb jedoch standhaft. Der Schwager seiner Frau schrieb über ihn: »Die Leidensbereitschaft dieses von innen her heiteren, ja strahlenden Menschen war aus tieferen Urgründen als denen des politischen oder sonstigen Verstandes genährt. Kuenzer war tief religiös.« Im Oktober 1944 wurde RICHARD KUENZER wieder nach Berlin in das Zellengefängnis Moabit verlegt.

Die Anklageschrift warf ihm vor, „friedenssüchtig“ zu sein, „Greuelmärchen über angebliche Erschießungen von Juden“ erzählt und gesagt zu haben, man müsse „den Führer niederschießen wie einen tollen Hund“. Der Prozeß wurde nach dem Tod des gefürchteten Richters Freisler auf den 27. April 1944 vertagt, doch es kam nicht mehr dazu. In der Nacht vom 22. auf den 23. April 1944 wurden 16 Häftlinge – unter ihnen DR.RICHARD KUENZER – aus ihren Zellen geholt. Es wurde ihnen vorgetäuscht, sie würden entlassen. Doch sie wurden auf ein nahegelegenes zerbombtes Ausstellungsgelände gebracht und um ein Uhr nachts durch Genickschuß ermordet. Eines der Opfer überlebte und konnte dieses entsetzliche Verbrechen  berichten.

Johanna Solf schrieb über DR.RICHARD KUENZER:

Ritterlichkeit, Furchtlosigkeit und Männlichkeit zu vereinen mit Warmherzigkeit, Demut und Güte, das war das Geheimnis von Richard Kuenzer. ( … ) Er war einer der edelsten Menschen, ein wahrer Demokrat, nicht aus Parteizugehörigkeit, sondern aus Weltanschauung. Keine Mühe, keine Arbeit, kein Weg war ihm zuviel, wenn es galt, anderen zu helfen und der Gerechtigkeit zu dienen. Viele haben politisch und rassisch Ver¬folgten geholfen. Keiner tat es mit soviel selbstverständlicher Aufopfe¬rung wie er. Unzählige verdanken ihm mehr als sie ahnen.

Sein Grab liegt auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof, Berlin. RICHARD KUENZERs einzige Tochter Monika Maria Madeleine Popitz lebte in München. Die Stolpersteinverlegung für DR.RICHARD KUENZER durch den Initiator des gesamten Projekts STOLPERSTEINE, Gunter Demnig, fand am 12. Januar 2005 in Anwesenheit von zwei Nichten, einem Großneffen, Uwe Schellinger und vielen anderen statt. Im Sommer 2005 beschloss die Stadt Freiburg, eine neue Straße im Stadtteil Wiehre nach RICHARD KUENZER zu benennen.

 

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