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Hilda Kahn geb. Günzburger

HILDA KAHN (A) kommt am 30. Juli 1887 in Müllheim als Kind von Emanuel Günzburger und Karoline geborene Wachenheimer auf die Welt. Sie hat noch zwei Geschwister: Heinrich und Hugo.

Nach der mittleren Reife absolviert sie eine kaufmännische Lehre in einem Textilgeschäft in Müllheim und folgt danach verschiedenen beruflichen Angeboten in ihrer Heimatstadt selbst, in Karlsruhe und zuletzt ab 1910 in Basel. Dort geht sie 1915 die Ehe mit dem nichtjüdischen Kaufmann Louis Albert Gatschet ein und erwirbt mit dieser Verbindung die schweizerische Staatsangehörigkeit. Ihr Sohn Albert wird am 02.02.1917 geboren. Als dieser 8 Jahre alt ist, verstirbt der Vater in frühen Jahren nach langjähriger Krankheit. Jetzt entschließt sich HILDA GATSCHET, mit Albert nach Müllheim zurückzukehren und in das von ihrem (als Schneidermeister ausgebildeten) Vater 1921 eröffnete Textilwarengeschäft einzusteigen.

Die Geschäfte laufen vielversprechend an. Und als sich die Witwe entschließt, 1928 eine zweite Ehe mit dem ebenfalls in der Textilbranche tätigen Kaufmann jüdischen Glaubens SIEGFRIED KAHN 337 einzugehen, steht einer weiteren beruflichen Expansion nichts im Wege. Im Geschäft des Vaters, der weiter als Besitzer fungiert, arbeitet nun HILDA KAHN als Geschäftsführerin, während ihr Ehemann die Kundschaft bereist. So beginnt ihre gemeinsame berufliche Zukunft hoffnungsvoll in der Hauptstraße 111 in Müllheim, wo sie ihren Laden und die Wohnung gemietet haben. Die neue Ehe bleibt indes kinderlos.

Allerdings erweist sich der ideale Geschäftsstandort Hauptstraße sehr bald als verhängnisvoll: Er ist seit Beginn der NS-Machtübernahme ab 1933 allen antijüdischen Hetzkampagnen – „Kauft nicht bei Juden“ etc. – hoffnungslos ausgesetzt. So werden KAHNs gezwungen, um ihrer rapide schlechter werdenden wirtschaftlichen Lage zu entgehen, in die weniger zentrale Werderstraße umzuziehen. Doch der Erfolg bleibt aus: Mit der Aufgabe auch dieses Geschäftes 1936 und damit jeder geschäftlichen Tätigkeit überhaupt bleibt ihnen nur noch der weitere Umzug in das billigere Gällelegässle am Rande der Stadt. Das Ende des Betriebes bedeutet dann ihren finanziellen Ruin. Längst hat man sich von der stattlichen Einrichtung der früheren 4-Zimmerwohnung und dem Geschäftsmobiliar vom Anfang der 30er Jahre trennen müssen.

Dazu kommen persönliche Trennungen und Schicksale. Die schweizerische Staatsbürgerschaft erfordert ab dem Jahre 1937 von Sohn Albert die Ableistung der Wehrpflicht in seinem Heimatland. Er wird sich in Müllheim nur noch besuchsweise aufhalten. Am 12.11.1938 muss SIEGFRIED KAHN die Verhaftung und Überführung in das KZ Dachau erleiden, von wo er viele Wochen später nur unter der Bedingung entlassen wird, schnellstmöglich aus Deutschland zu verschwinden. Auch für HILDA KAHN werden jetzt die bisher eher vagen Auswanderungsabsichten immer konkreter: Könnte durch die familiäre Bindung zu Sohn Albert nicht eine Flucht in die Schweiz als Rettung naheliegen?

In einem ersten Schritt in diese Richtung verlassen beide Eltern das feindliche Müllheim und ziehen am 02.08.1939 nach Freiburg, zuerst in die Rheinstraße 17 zur Familie Schlesinger, dann in die Breisacher Straße 17 zu Wertheimers. Umzugsbedingt aber auch in Hinblick auf eine jetzt endgültig geplante Emigration wird der größte Teil ihres bereits reduzierten Hausrats von der Firma Mengler gepackt und dort auch untergestellt.

Aber dieses Ansinnen wird brutal durchkreuzt. Am 22.10.1940 werden HILDA und SIEGFRIED KAHN verhaftet und mit mehr als 6.000 badischen und saarpfälzischen „Juden“ in das KZ-Lager Gurs deportiert. Von hier und von den weiteren Stationen ihres Leidensweges sind Briefe der Mutter an Sohn Albert auszugsweise in den Akten überliefert. Sie spiegeln im Lauf zweier Jahre den schmalen Grat zwischen dem anfänglichen Vertrauen auf Verbesserung ihrer verzweifelten Lage und der wachsenden Hoffnungslosigkeit angesichts der politischen Entwicklung.

  • So am 28.10.1940, eine Woche nach der Ankunft in Gurs: „Vor allem bitte ich dich, fahre nach Bern und tue alles Mögliche, um eine Einreise für uns zu verlangen, wenn auch nur für kurze Zeit, dann schreibe einen Luftpostbrief oder telegraphiere an Onkel Hugo, daß er uns umgehend eine Bürgschaft senden soll, denn wer Papiere vorweisen kann, kommt am ehesten weg …“ Hier wird dringend um Hilfe gebeten, um die Schweiz (HILDA KAHN hat das Schweizer Bürgerrecht) und/oder die USA (Hugo als ihr Bruder ist dorthin emigriert) als Auswanderungsziel anzusteuern.
  • Sodann 1 Jahr später Ende 1941 die Überstellung in ein kleines menschenfreundliches Lager in der Nähe Lyons: „Kann dir nun mitteilen, daß wir Gottlob gestern Mittag wohlbehalten hier angekommen sind…“

Es ist die Maison de la Roche in Chansaye-par-Poule: eine Zwischenstation zwar, aber keine aussichtsreiche Basis für die dauerhafte Rettung in Form einer Emigration.

  • Verzweifelter dann die Nachricht an Albert wieder ein Jahr später am 17.09.1942 vom Centre d‘ Hébergement Rivesaltes in der Nähe von Perpignan: „Wir sind seit Montag früh von Chansaye weg und werden nun mit vielen Schicksalsgenossen dasselbe Los teilen. Der liebe Gott behüte uns alle und gebe uns allen ein fröhliches Wiedersehen. Bleibe gesund mein Kind, sei ruhig wenn du auch lange Zeit nichts mehr von uns hörst; bei R. Kahn, Lyon, Avenue Lacaragne 34 haben wir den großen Koffer mit Kleidern stehen, daß du im Bilde bist. Viel viel Glück mein Kind, innige Küsse Deine Mutter“.
  • Und einen Tag später in großer Hoffnungslosigkeit: „Fais tout possible pour obtenir visa d’entrée pour nous stop. Seul espoir, réponds par télégramme que visa est envoyé“.  („Tu alles Mögliche um Einreisevisa für uns zu bekommen… Einzige Hoffnung, antworte telegraphisch daß die Visen abgeschickt sind“).
  • Mit der letzten Postkarte, am 30.9.1942 dem Tag ihrer Ankunft im KZ Drancy aufgegeben, endet der zweijährige Briefwechsel zwischen Mutter und Sohn: „Mein Lieber, wir sind beide gut hier angekommen und sind gesund, hoffe dich auch bei bester Gesundheit. Lebe wohl, viel Glück und Segen“.

Am 04.11.1942 wird HILDA KAHN zusammen mit ihrem Ehemann vom KZ Drancy  in das Mordlager KZ-Auschwitz-Birkenau deportiert. Dort werden beide vermutlich unmittelbar nach ihrer Ankunft in den Gaskammern ermordet.
Das Amtsgericht Freiburg wird am 20.07.1959 den 15. November 1942 zum Todesdatum von HILDA KAHN erklären. Sie ist 55 Jahre alt geworden.

Quellen: Staatsarchiv Freiburg, F 196/1 – 11510, 5888. Sekundärquellen siehe bei SIEGFRIED KAHN 337.
Recherche und Text: P.K. Projekt STOLPERSTEINE in FREIBURG