
Siegfried Kahn
SIEGFRIED KAHN wird am 29. Januar 1884 in Sulzburg als Sohn von Heinrich Kahn und Mathilde, geb. Weil geboren. Die Geschwister Hugo, Hilde und Julius Kahn wachsen mit ihm in der Familie im Sulzburger Eckhaus Ernst- Barth- Gasse / Gustav-Weill-Straße, schräg gegenüber der Synagoge auf, in dem sich auch das Ledergeschäft des Vaters befindet.
Der Ausbildung zum Kaufmann – vermutlich im elterlichen Betrieb – schließt sich eine Tätigkeit in Müllheim (?) in der Textilbranche als Handelsreisender im angestellten Verhältnis an.
Am 27.6.1928 schließt SIEGFRIED die Ehe mit HILDA KAHN verw. Gatschet 334 , welche nach dem Tod ihres Mannes im Jahr 1925 mit dem kleinen Sohn Albert aus der Schweiz wieder nach Müllheim zurückgekehrt war und im Textilgeschäft ihres Vaters mitarbeitete. Entsprechend seiner früheren Tätigkeit als Reisender im Außendienst tritt er in die Firma seiner neuen Verwandtschaft in gleicher Funktion ein. Und offenbar gelingt zu Beginn der 30er Jahre neben der privaten Beziehung auch ein guter Start bei der geschäftlichen Zusammenarbeit in den gemieteten Räumen der Müllheimer Hauptstraße 111, wo sich Betrieb und Wohnung befinden.
Doch infolge der von der NS-Regierung ab 1933 „mit Erfolg“ propagierten „Arisierung“ – also Enteignung aller Geschäfte und Betriebe mit InhaberInnen die die jüdische Religion haben – verschlechterte sich auch die finanzielle Situation der Familie KAHN in Südbaden rapide. Zu „Schädlingen des deutschen Volkes“ erklärt, sehen sie sich gezwungen, in die weniger zentral gelegene und damit nicht allen antisemitischen Hasskampagnen ausgesetzte Werderstraße in Müllheim umzuziehen. Als auch hier die Bedrohungssituation nicht nachlässt, müssen sie 1936 das Geschäft ganz aufgeben. Mit dem finanziellen Ruin ab diesem Jahr bleibt ihnen nur der Umzug in das noch billigere Gällelegässle am Rande der Stadt.
Am 12. November 1938 wird SIEGFRIED KAHN verhaftet und in das KZ Dachau deportiert. Der wochenlange Aufenthalt mit Gewalt und Brutaklität gegenüber den Menschen dort hat das Ziel, die jüdischen Gefangenen nach ihrer Enteignung zum sofortigen Verlassen Deutschlands zu veranlassen.
Als das Leben für alle jüdischen Menschen Müllheims (- und besonders für ihn als KZ-Dachau-Rückkehrer!) immer unerträglicher wird, sieht sich das Ehepaar KAHN gezwungen im August 1939 diese Stadt zu verlassen. Sie ziehen nach Freiburg um. Zuerst in die Rheinstraße 17, dann in die Breisacher Straße 17 zur Familie Wertheimer. Die Hoffnung der Eltern, beim Sohn Albert, der ja Schweizer Staatsbürger ist und dort einen Arbeitsplatz gefunden hat, unterzukommen, bleibt jetzt das alles beherrschende Ziel. So wird auch der größte Teil des Hausrats von der Freiburger Firma Mengler gepackt und bis zur geplanten Emigration bei dieser untergestellt.
Aber dieses Ansinnen zerschlägt sich auf grausame Weise. Am 22.10.1940 werden SIEGFRIED und HILDA KAHN verhaftet und von Freiburg aus mit 6.500 badischer und saarpfälzischer Jüdinnen und Juden in das südfranzösische Internierungslager KZ-Gurs deportiert.
Ein ganzes Jahr werden sie in der drangvollen Enge dieses Lagers unter den erbärmlichsten Bedingungen überleben müssen. Dann ein überraschender Lichtblick: Sie können das riesige Lager Gurs verlassen und in ein kleineres, weniger reglementiertes und mit etwas mehr Freiheiten ausgestattetes Lager wechseln. Sohn Albert berichtet darüber und über die darauffolgende Zeit: „Am 25. November 1941 konnte ich meine Eltern befreien und sie in ein katholisches Heim Maison de la Roche, Chansaye, Département Rhône unterbringen. Sie blieben in diesem Heim bis zum 14. September 1942. Dann wurden sie in das KZ-Lager Camp de Rivesaltes, Pyrenäen deportiert“. Wiederum ein riesiges Lager mit dortigem Aufenthalt vom 17. bis 28. September 1942. An diesem letzten Tag werden sie mit 69 anderen Männern und Frauen in das KZ- Drancy – bei Paris – in die von Deutschen besetzte Zone verschleppt.
SIEGFRIED KAHN und seine Frau müssen über einen Monat in der Trostlosigkeit dieses Pariser Abschiebungslagers – meist in den Tod – verbringen. Am 4.11.1942 werden sie mit dem „convoi 40“ zusammen mit 1.000 anderen jüdischen Menschen verschiedener Nationalität in das KZ- Auschwitz-Birkenau deportiert. Im Memorial de la déportation des Juifs de France (s.u.) sind beide auf der Liste „Drancy 1“ registriert, es ist dies ihre letzte Spur. Seitdem sind sie verschollen. Das Amtsgericht Freiburg erklärt sie am 11.1.1960 für tot. Todestag am 25.11. 1942.
Vermutlich sind sie gleich nach ihrer Ankunft im KZ-Auschwitz-Birkenau in den Gaskammern ermordet worden. SIEGFRIED KAHN wurde 58 Jahre alt.
Quellen: Staatsarchiv Freiburg F 196/1-11516 und -5888; G 540/5-13214; F 166/3-2978. Sekundär: Jüdische Spuren in Sulzburg. Zwei Hefte, herausgegeben von der „Initiative Jüdische Spuren in Sulzburg“, 2013. Rolf Schuhbauer: „Nehmt dieses kleine Heimatstück“. Spuren und Stationen der Leidenswege von Müllheimer und Badenweilemer Juden zwischen 1933 und 1945, Eggingen 2001. Peter Künzel, Von Gurs über Chansaye in die Freiheit ? Über einen dramatischen Rettungsversuch badischer jüdischer Internierter im unbesetzten Frankreich 1940-1944. In: Badische Heimat 2/2009.
Zusätze: Albert Gatschet, 1958 wohnhaft Biel Dufourstr. 56. 2 Kinder von (1958) 4 und 14 Jahren. Er erzählt in den Akten s.o. ausführlich die Geschehnisse.
- Hausratsversteigerung bei Kahns Breisacherstr. 17 am 17.5.1941; der Ertrag: 672 Mark, Original in den Akten. Das Schicksal von Siegfrieds nächsten Verwandten: Bruder Hugo verstirbt 1958 in NY; Bruder Julius verstirbt 1920 in Sulzburg; Schwester Hilde verh. Lederer verstirbt 1958 in NY; und der Vater ebenfalls in NY am 1.3.1941.
- STOLPERSTEINE für SIEGFRIED und HILDA KAHN im Müllheimer Gälle- legässle sind bereits vorhanden.
- Sekundärliteratur: Mémorial de la déportation des Juifs de France, hrsg. von Serge Klarsfeld – im Internet genauere Bezeichnungen.
Recherche und Text : Peter Künzel, Projekt STOLPERSTEINE in FREIBURG.