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Yvonne Kaufmann geb. Netter

YVONNE KAUFMANN wird am 14. April 1894 als Tochter von Henri Netter und seiner Ehefrau Henriette geb. Zivi geboren. Vier weitere Geschwister – zwei Söhne und zwei Töchter – wachsen mit ihr im elterlichen Haushalt des elsässischen Altkirchs auf. Verheiratet ist sie seit 1922 mit LUDWIG KAUFMANN 341, der am 13. Mai 1899 in Lichtenau Kreis Kehl geboren wurde. Durch die Heirat mit ihm erhält YVONNE KAUFMANN die deutsche Staatsangehörigkeit. Ihr einziges Kind MANFRED 342 wird am 7. Oktober 1923 in Bühl geboren.

An der Seite ihres Ehemannes nimmt sie Anteil an seiner aktiven Tätigkeit im elterlichen Getreidegeschäft, erlebt aber auch Ende der 20er Jahre dessen Scheitern infolge der allgemeinen Wirtschaftskrise. Besser entwickelt sich dann LUDWIGS KAUFMANNs Engagement ab 1929/30 als (General) Agent bei der Victoria-Versicherung in Freiburg, wo er offenbar erfolgreiche Arbeit verrichtet und gut verdient.

Für YVONNE KAUFMANN und ihren Ehemann gestalten sich dann viele Jahre ab 1933 – im Gefolge der Machtübergabe der deutschen Bevölkerung an die Nazis – als außerordentlich schwierig:

  • Zuerst die Kündigung des Arbeitgebers ihres Mannes schon 1933 wegen seiner jüdischen Religion;
  • Dann die Kündigung der Wohnung Zähringerstr. 48; – Infolgedessen die Erwägung und der frühe Entschluss zur Emigration.

Diese findet am 5.11.1935 nach Mulhouse in die Region ihrer Geburt statt. Viele Jahre lang hofft sie nun, dass ihr Mann mit seinem Uhren- und Radio-Geschäft im Reisehandel (Espargniola) geschäftlich neu Fuß fassen kann. Doch dies geschieht nur mühselig und hätte eine längere Vorlaufszeit vor dem erzwungenen Ende 1939 benötigt.

Denn bei Kriegsausbruch wird die Familie zu Zwangsaufenthalten zuerst in Vichy, dann in Marseille genötigt. Zum dortigen Überleben im Süden Frankreichs trägt dann wesentlich ihr Sohn Manfred bei. Brillanter Schüler in Deutschland und ohnehin sprachgewandt, findet er schnell ab August 1941 eine Anstellung bei der Firma Plantade & Brunot,Transportgeschäfte in Marseille. Mit seinem ordentlichen Gehalt kann die derzeitige Wohnung der Familie in Marseille, rue Espérandieu 4, ohne Probleme bezahlt und der Lebensunterhalt bestritten werden.

Die Tragödie beginnt nach der Besetzung der freien Zone durch die deutsche Wehrmacht im Jahre 1943. Anlass ist ein Termin der Familie im Polizeirevier von Marseille, wo alle dort lebenden Juden sich zur neuen Kennzeichnung auf ihren Ausweisen registrieren lassen müssen (der sog.„Judenstempel“). YVONNE KAUFMANN erinnert sich an die dramatische Situation: „Am 15.1. wurde ich, nachdem mein Mann die Flucht ( bei der Registrierung, P.K.) ergriffen hatte (er war verhaftet) inhaftiert. Mein armer Junge stellte sich für uns und wurde deportiert. Wir mußten unter unwürdigen Bedingungen bis zur Entsetzung von Marseille uns über einem Stall verstecken. Es war uns nicht möglich, Lebensmittelkarten zu holen. Hier lebten wir bis zum Ende des Krieges. Gute Bekannte sorgten für uns, sodaß wir nicht verhungerten. Wir konnten in der langen Zeit das Versteck nur unter der größten Lebensgefahr verlassen. Lebensmittelkarten mußten wir, natürlich gefälschte, illegal besorgen lassen. Während dieser Zeit suchte uns die Gestapo in unserer alten Unterkunft. Bei einem dieser Versuche fand der Gestapomann in unserem dort gelassenen Briefkasten eine Rechnung von der Garage für den dort eingestellten Wagen. Man ging in diese Garage, demontierte die Pneues und sagte zu der Garageninhaberin, wenn sie uns finden, werden wir sofort erschossen werden. Zeugen: M. Lionel Caposele und M. Jean Flamand.“

Aber sie halten durch bis zur Befreiung von Marseille im August 1944.

1948 kehren beide nach Mulhouse zurück. Nach dem Zweiten Weltkrieg erhält Yvonne ihre französische Staatsangehörigkeit wieder zurück. In der rue Sainte Claire startet ihr Mann einen erneuten Versuch der Gründung einer Vertriebsfirma für Uhren und Radios. Doch auch dieser Anlauf scheitert wie vordem 1935, weil die Geschäftsidee auf dem Ratenkauf basiert und dieser beim Firmeninhaber ein gewisses Investitionskapital voraussetzt; über dieses kann LUDWIG KAUFMANN nicht verfügen.

Auch den allerletzten Versuch einer Existenzgründung wird YVONNE KAUFMANN begleiten, als ihr Mann im Januar 1954 einen Anstellungsvertrag mit der Victoria-Versicherung in Freiburg unterschreibt. Doch dieser erneute Start – mit viel Aufwand und Schriftverkehr betrieben, u.a. mit dem Wiedergutmachungsamt über die Bereitstellung eines PKWs, eines Büros und einer Wohnung in Freiburg – endet nach einem halben Jahr wegen Erfolgslosigkeit. Damit endet auch – nach genau 20 Jahren – seine durch den NS unterbrochene erfolgreiche Beziehung mit der Freiburger Versicherung. Es ist auch das Ende seiner aktiven Berufstätigkeit. Fortan lebt sie mit ihrem Mann in Mulhouse. Die kleine Wohnung in Littenweiler, von welcher sie des öfteren zu Gottesdiensten in der Freiburger Jüdischen Gemeinde aufgebrochen ist, wird aufgegeben.

YVONNE KAUFMANN verstirbt am 10. November 1978 im Alter von 84 Jahren in Mulhouse.

Quellen: Staatsarchiv Freiburg F 196/1-5793, -5794, -10921.

Ergänzungen: Umfangreiche Korrespondenz zw. Yvonne Kaufmann und vielen Adressen der medizinischen Zunft und den entscheidenden Stellen der staatlichen Behörden wegen der Einordnung verfolgungsbedingter, vor allem angstneurotischer Syndrome der Betroffenen in das vorhandene (eher negativ-abweisende) Schema erstattungsrechtlicher Praxis.

Schönes Passbild in o.a. 5793 im gültigen Paß mit „Judenstempel“.

Recherche und Text : P.K. Projekt STOLPERSTEINE in FREIBURG.

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